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PostPosted: Mon 21. Feb 2011, 13:29 
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Joined: Wed 10. Nov 2010, 18:24
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Hallo Modelergemeinde,

anbei ein qualitatives Modell aus: Vester, F. (2002), Die Kunst vernetzt zu denken – Ideen und Werkzeuge für einen neuen Umgang mit Komplexität, S. 244ff, Deutscher Taschenbuchverlag.

Ich gebe keine Gewähr für die „Richtigkeit“ des Wirkungsgefüges, auch habe ich z.T. Faktoren, die VESTER wertend formulierte (z.B. „Rückgang der Wälder“) neutral gehalten (z.B. „Waldbestand“). Was man an diesem plastischen Beispiel sehr schön nachvollziehen kann, ist die unterstützende Funktion des Modelers bei der Auswertung mittels Erkenntnismatrix („Verstehen des Systems“) und der Strategiefindung.

Das Modell „Klimawandel“ enthält 20 Faktoren. Eine erste Auswertung ergibt sechs Loops, alle selbstverstärkend und sehr kurz (3- 5 Faktoren), es gibt keine stabilisierenden Regelkreise.
==> (1) Das weist zunächst auf ein System hin, das schnell auf Änderungen reagiert und sich in kurzer Zeit schnell, auch bis zum „Umkippen“ hin, aufschaukeln kann.

Schaut man sich die Erkenntnismatrix für den Faktor „Treibhauseffekt“ an, so erlebt man zunächst keine Überraschungen: die C02- Konzentration, die Methanproduktion und globale Albedo (=Rückstrahlung) wirken sich verstärkend auf den Treibhauseffekt aus. Laut Erkenntnismatrix wirkt der Treibhauseffekt auch leicht selbstverstärkend auf sich selbst zurück. Mit dem neuen Modeler 7.0 kann man auch erkennen, dass die Bedeutung der o.a. Faktoren langfristig sogar noch zunimmt.
Ferner wirken sich die Phytoplanktonaktivität sowie der Bestand an Polareis und Wäldern zunehmend senkend auf den Treibhauseffekt aus.
Alle anderen Faktoren haben eher moderaten Einfluss, z.B. auch das Verkehrsaufkommen.

==> (2) Man kann nun durch eine Betrachtung des Wirkungsgefüges versuchen herauszufinden, wie man Einfluss auf die als relevant erachteten Faktoren nehmen kann. Man sieht schnell, dass ein direkter Eingriff bei den „zunehmend senkenden“ Faktoren schwer möglich ist: Auf ein Fingerschnippen hin kann man weder die Phytoplanktonaktivität, noch die Dicke des Polareises oder den Waldbestand positiv beeinflussen. Was kann man denn dann tun? Man muss also die „zunehmend erhöhend“ wirkenden Faktoren „einzubremsen“ versuchen.
Ein Ansatz wären z.B. andere Verfahren in der Industrieproduktion: So würde man auf der einen Seite direkt den CO2 Ausstoß vermindern, auf der anderen Seite durch weniger Meeresverschmutzung die Phytoplanktonaktivität erhöhen. Man macht sich hiermit die Eigengesetzlichkeiten des Systems zu Nutze: Eine Maßnahme, die auf zwei Faktoren wirkt, zudem sind diese Faktoren beide in kurze, selbstverstärkende Regelkreise eingebaut, so dass die Wirkung der Maßnahme verstärkt wird- man setzt einen kleinen Impuls und die Wirkung vervielfacht sich.
Generell wären im Bezug auf die Industrieproduktion auch Gesetze oder Auflagen möglich. Fraglich ist aber, ob man dann nicht irgendwelche „ausweichenden Reaktionen“ provoziert (z.B. durch das Ausnutzen von Lücken o.ä.). Man müsste dann überlegen, ob man weitere Faktoren (z.B. Auswirkungen einer Gesetzesänderung) einfügen muss, die unter Umständen das System noch weiter destabilisieren. Zur Bewertung von Maßnahmen können die "kybernetischen Lenkungsregeln" von Vester bzw. die für einen unternehmerischen Kontext spezifizierte Version von Probst / Gomez dienen.

==> (3) In einem dritten Schritt kann man versuchen herauszufinden, was ein testweises Hinzufügen oder Weglassen einzelner Variablen für Auswirkungen hätte. Fügt man z.B. die Variable „Verhaltensänderung des Menschen“ (siehe Modell „Klimawandel mit Verhaltensänderung“) ein, welche sich senkend auf den Einsatz fossiler Energien und das Verkehrsaufkommen auswirkt, so ändert das System schlagartig seine Charakteristik. Wir haben nun nicht mehr sechs kurze, selbstverstärkende Regelkreise, sondern plötzlich insgesamt 76 Loops, die Masse davon stabilisierend. Insgesamt scheint das System sich also nicht mehr so „aufschaukelnd“ zu verhalten wie ohne Verhaltensänderung des Menschen. Wäre nur noch die Frage zu beantworten, durch was so eine Verhaltenänderung hervorzurufen wäre. Laut Wirkungsgefüge reichen dazu die sinnlich wahrnehmbaren, negativen Auswirkungen unseres Verhaltens auf die Umwelt (Anstieg des Meeresspiegels, Bergrutsche, etc.).
Warum dem aber nicht so ist, erläutern Probst / Gomez in „Die Praxis des ganzheitlichen Problemlösens“ am Beispiel des „gesottenen Frosches“ (ich verzichte an dieser Stelle auf konkrete Details was den Frosch angeht...): Der Mensch nimmt langsame Veränderungen in seinem Umfeld gar nicht oder nur schlecht wahr und sieht keinen Grund zum Handeln. Ein Meeresspiegelanstieg von nur wenigen Zentimetern braucht Jahre oder Jahrzehnte, auch ein Marktanteilsverlust von 0,2% oder ein leichtes Sinken der Mitarbeiterzufriedenheit wird nur im Ausnahmefall zur sofortigen Handlung führen. Um Menschen zu aktivieren, braucht es gravierende Veränderungen. Ein interessantes, wenngleich auch auf den ersten Blick vielleicht etwas "bizarr" anmutendes Werk zur "Aktivierung" von Menschen bzw. Menschen in Organisationen / Unternehmen ist das Buch „Chaos ist die Regel“ von Richard T. Pascale et al.

Hat man nun eine Reihe von Maßnahmen identifiziert, dann kann man deren Einfluss mit dem Modeler sehr schön vergleichen (entweder qualitativ über die Erkenntnismatrix oder quantitativ). Ferner können auch "Was wäre wenn"- Fragen beantwortet werden um letztendlich herauszufinden, welche Systemkonfiguration sich möglicht "robust" gegenüber Einflüssen verhält.

Marko
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PostPosted: Wed 23. Feb 2011, 00:27 
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Joined: Fri 3. Sep 2010, 13:20
Posts: 300
Sensationeller Beitrag - klasse!
Ein Argument sehe ich allerdings anders: ich glaube leider nicht (habe es in "KNOW-WHY: Chancen für eine bessere Welt" ja zum Thema gemacht), dass es nur schwer wahrnehmbare Veränderungen sind, die uns Menschen nicht handeln lassen - sondern fürchte, hier wirkt ein weitaus größeres Modell. Schließlich gibt es bereits eine Reihe auch schon dramatischer Veränderungen, die wenig bewirkt haben bzw. bewirken.
In ein solches Modell gehörte z.B., dass Menschen von ihrem Fehlverhalten gar nicht hören wollen (Dissonanzabbau), dass Lobbyisten Wandel geschickt verhindern, indem sie konservatives Gedankengut (bloß nicht die Welle rauf, Integration vor alles, auch wenn die Welle ggf. weiterzieht) schüren, dass ein Begreifen von Endlichkeit fehlt (schließlich denken viele, dass immer irgendwo Öl gefunden wird und andere Naturereignisse noch viel mehr Schaden anrichteten, den die Erde wegsteckte - also ausgleichende Wirkungsschleifen überall und überhaupt "gibt es ja nun auch mal genug hässliche Windkrafträder, die die Landschaft verschandeln") und es nur um Deutungshoheiten geht, solange keine Modelle allgemeinverständlich mehr Objektivität auch über Medien und Schulen verbreiten ....
Das Wissen ist dann aber immer noch nur das eine. Das Handeln erfolgt, wenn es fühlbare Integration und Weiterentwicklung bedeutet, was für Politik wie für Wirtschaft und Verbraucher nur über ein Bündel gleichzeitig wirkender Hebel initiiert wird, soll es nicht die erfolglose Weiterentwicklung eines Einzelnen ohne Integration sein.

Happy modeling und viel KNOW-WHY

Kai

_________________
Kai Neumann

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